Bericht von Rita Schiavi der Reise in Griechenland für den Verein „Solidarität mit Griechenland“
Seit der Gründung unseres Vereins im Juni 2015 hat sich die Situation in Griechenland stark verändert. Vor allem im Gesundheitsbereich ist die Not heute deutlich geringer. Im April 2016 hat die Syriza-Regierung den Zugang zum öffentlichen Gesundheitswesen für alle Menschen, die in Griechenland leben, wieder garantiert. Die Sozialkliniken haben jetzt weniger Zulauf, sind aber nach wie vor nötig und Gesundheitsminister Andreas Xanthos hat die Kliniken auch gebeten, weiter offen zu bleiben. Angeboten wird in den Sozialkliniken jetzt vor allem die zahnmedizinische Betreuung, denn diese ist in Griechenland, wie in der Schweiz, nicht durch die Krankenversicherung abgedeckt. Flüchtlinge, Sans-Papiers und viele Griech*innen können sich den Zahnarzt nicht leisten.
Weiterhin werden Menschen in den Sozialklinken auch psychologisch betreut und es werden Medikamente abgegeben (vor allem anMenschen, welche sich auch den kleinen Selbstbehalt nicht leisten können).

Als wir am 21.6. die Klinik am Omonia-Platz in Athen
besuchten wurden gerade Flüchtlinge zahnmedizinisch behandelt. Die Klinik verfügt über zwei zahnärztliche Behandlungsplätze und hat neu jetzt auch ein Röntgengerät, das sie aus dem Geld finanzieren konnte, das wir an Solidarity4all Ende 2015 überwiesen hatten und von dem immer noch rund die Hälfte vorhanden ist.
Der Fall Novartis
Unser Besuch galt vor allem Abklärungen im Fall Novartis. Am 21.6. trafen wir (NR Marina Carobbio, Hans Schäppi von Multiwatch, Rita Schiavi als Präsidentin von Solidarität mit Griechenland) drei Parlamentarier von Syriza (Anneta Kavvadia, George Pallis und Thedoris Dritsas) welche alle drei dem parlamentarischen Ausschuss angehören, welcher sich mit dem Fall Novartis beschäftigt hat. Novartis wird vorgeworfen, mittels Bestechung von Ärzt*innen und Ministern früherer Regierungen Medikamente zu überhöhten Preisen nach Griechenland verkauft zu haben. Novartis ist wahrscheinlich nicht die einzige Pharmafirma, die solche Praktiken angewendet hat, sie ist aber in Griechenland am Umsatz gemessen die Grösste.
Zur Untersuchung der Bestechungsvorwürfe wurde der Fall jetzt an die Staatsanwaltschaft übergeben.
Solidarity4all
Solidarity4all ist eine Organisation, welche durch Abgaben der Syriza-Abgeordneten finanziert wird und die Solidaritätsprojekte in Griechenland koordiniert. Tatiana Egorova, welche bei Solidarity4all den Gesundheitsbereich koordiniert und Verbindungsperson zwischen den Solidaritätskliniken und dem Gesundheitsministerium ist, hat uns sowohl zum Treffen mit den Parlamentarier*innen, als auch zum Besuch beim Gedsundheitsminister begleitet.
Obwohl Griechenland im August den Europäischen Rettungsschirm verlassen wird und einige Verbesserungen für die ärmsten Teile der Bevölkerung erzielt wurden, bleiben die Solidaritätsstrukturen weiterhin wichtig und nötig. Das ist auch die Meinung der Parlamentarier, die wir getroffen haben. Zum Teil werden sich die Solidaritätsstrukturen verändern und der neuen Situation anpassen müssen. Die Veränderungen werden jetzt innerhalb Solidarity4all diskutiert. Auch im Bereich der Flüchtlingsbetreuung übernehmen die Solidaritätsstrukturen Aufgaben, welche der Staat oder andere Hilfswerke nicht oder nicht mehr leisten. So unterstützt die Solidaritätsklinik Omonia z.B. das Kurdencamp in Lavrio.
Besuch bei Gesundheitsminister Xanthos
Zum Besuch beim Gesundheitsminister war auch Franco Cavalli dabei, der nachher gleich weiterreisen musste.
Panos Papandreou, Rita Schiavi, Marina Carobbio, Andreas Xanthos, Franco Cavalli, Hans Schäppi
Andreas Xanthos ist selber Arzt und Gründer der ersten Solidaritätsklinik in Kreta. Trotz grosser, durch die Trojka auferlegter Restriktionen, ist es ihm gelungen, wieder mehr Ressourcen ins öffentliche Gesundheitswesen zu bringen. Hauptsächliche Zielsetzungen sind: Sicherung der Ressourcen für das öffentliche Gesundheitssystem, Erleichterungen für weniger bemittelte Bevölkerungsschichten und drittens eine Reform des Gesundheitssystems insbesondere die Stärkung des öffentlichen Sektors. Wie in der Schweiz ist auch in Griechenland der Teil des Gesundheitswesens, der privat ist, recht gross. Die staatliche Gesundheitsversicherung finanziert grundsätzlich sowohl die öffentlichen, wie auch die privaten Leistungserbringer. Xanthos versucht, den öffentlichen Teil zu erweitern. Das Verhältnis konnte von 60/40 auf 62% zu 38% zu Gunsten des öffentlichen Bereichs verschoben werden. Zur Zeit wird ein öffenticher Primary-Health Bereich (Polikliniken) in den Städten aufgebaut. Auf dem Land gibt es diese Strukturen. In den Städten wurde Primary-Haelth bisher durch Privatärzt*innen geleistet.
Ab nächstem Jahr soll für Kinder und Jugendliche auch ein Präventionsprogramm im Bereich der Zahnmedizin eingeführt werden.
Korrekturen soll es auch beim Selbstbehalt für Medikamente und medizinische Analysen geben, der für ärmere Bevölkerungsschichten noch zu hoch ist. Keinen Selbstbehalt gibt es bei Medikamenten, die von öffentlichen Spitälern abgegeben werden.
Einsparungen im Gesundheitswesen sind u.a. über die Senkung der Medikamentenpreise möglich. Bisher gibt es keine Medikamentenlisten. Die Festlegung der Medikamentenpreise war intransparent und ohne Kontrolle. Neu soll eine Kommission zur Festlegung der Medikamentenpreise gebildet werden. Auch wurden bisher die Verhandlungen von Griechenland allein geführt. In Zukunft sollen sie kollektiv zusammen mit anderen Südeuropäischen Ländern wie Spanien, Portugal, Italien, Malta und Zypern geführt werden. Vorbild sind die BENELUX-Staaten, welche die Verhandlungen auch kollektiv führen.
Schon vor der Syriza-Regierung wurde bei den Medikamenten ein Globalbudget eingeführt. Zur Zeit werden Medikamente im Wet von 3‘7 Mia. abgegeben aber dafür nur 2‘5 Mia bezahlt. 2009 beliefen sich die Kosten für Medikamente auf 5 Mia!
Griechenland hat schon immer viele Ärzt*innen ausgebildet. Ca. 1/3 aller griechischen Ärzt*innen arbeiten zur Zeit im Ausland. Trotzdem herrscht kein Ärzt*innen-Mangel, aber die öffentlichen Spitäler können wegen der austeritätsbedingten Auflagen nicht genügend ÄrztInnen anstellen. Das gleiche gilt für das Pflegepersonal.
Flüchtlingscamp Schistou
Am 22. Juni besuchten wir zusammen mit Lena Kougea das Flüchtlingscamp in Schistou. Schistou ist ursprünglich eine militärische Struktur und wurde vor zwei Jahren vom Militär geführt. Heute ist das Militär noch für die Gesundheitsversorgung im Camp zuständig.
Es leben 850 Flüchtlinge im Camp, v.a. Afghanen. Das Camp ist sehr gut organisiert und wird von 80 Mitarbeiter*innen betreut. Die Flüchtlinge leben in voll ausgerüsteten Containerwohnungen und kochen selber. Sie bekommen vom UNHCR einen monatlichen Betrag auf eine Kreditkarte überwiesen. Die Kinder gehen in die öffentliche Schule. Junge Erwachsene machen z.T. eine Ausbildung, einige an der Landwirtschaftsschule.
Die NGO, die sich bisher um die Begleitung von Kindern ins Spital gekümmert hat (die Eltern können die Sprache nicht, deshalb ist diese Begleitung wichtig), geht weg und konnte bisher nicht ersetzt werden.
Alle Flüchtlingscamps auf dem Festland sind wieder voll, nachdem sie sich vor einem Jahr ziemlich geleert hatten. Es kommen wieder mehr Flüchtlinge auf den Inseln an und ein Teil von diesen wird dann aufs Festland gebracht. Mit der Verschärfung der Flüchtlingspolitik in Italien könnte diese Tendenz noch zunehmen.
Besuch der griechischen Parlamentarier*innen in der Schweiz
Vom 11.-13. September werden die griechischen Parlamentarier*innen, die sich mit den Fall Novartis beschäftigen, in der Schweiz sein. Wir planen Veranstaltungen mit ihnen in Bern, Basel und in der Romandie. Das genaue Programm folgt später.


Danke für ihre Arbeit!